Bei Patienten mit einem Morbus Crohn, bei denen Darm entfernt wurde, wird gelegentlich die Diagnose „Kurzdarmsyndrom“ gestellt.
Im Folgenden soll versucht werden, diesen Begriff mit Inhalt zu füllen und die Behandlungsmöglichkeiten darzustellen.
Definition
Es existieren verschiedene Definitionen des Krankheitsbildes Kurzdarmsyndrom. Folgende Begriffsbestimmung hat sich bewährt:
Bei einem Kurzdarmsyndrom ist die Darmfunktion in Folge einer Resektion so stark eingeschränkt, dass die Verdauung und Resorption von Makronährstoffen, Flüssigkeit und Mineralien nur mit speziellen Maßnahmen aufrecht erhalten werden kann oder durch eine künstliche (intravenöse) Ernährung ergänzt bzw. übernommen werden muss.
Länge und Funktion des Darms
der normale Dünndarm des Menschen ist zirka 400 cm lang und geht in den zirka 80 cm langen Dickdarm über. im Dünndarm werden Makronährstoffe (Aminosäuren, Kohlenhydrate und Fette) und Mikronährstoffe (Vitamine und Spurenelemente) aufgenommen (resorbiert). Die Resorption von Wasser und Mineralien Elektrolyte) erfolgt im Dünn- und Dickdarm. eine Reihe von Nährstoffen wird nur in bestimmten Darmabschnitten resorbiert (z.B. das Vitamin B12 und die Gallensäuren im Ileum). Werden diese Darmabschnitte entfernt, kann der restliche Darm diese Aufgabe nicht übernehmen. Die Funktion des oberen Dünndarms (Jejunum) kann hingegen von den weiter unten gelegenen Dünndarmabschnitten (Ileum) nach einer Anpassungsphase übernommen werden.
Ursachen eines Kurzdarmsyndroms
Die häufigsten Ursachen eines Kurzdarmsyndroms beim Erwachsenen sind:
Multiple Resektionen bei Morbus Crohn
Mesenterialinfarkt (Durchblutungsstörung des Darms, die zur operativen Entfernung zwingt)
Schwere Bauchverletzungen
Strahlenschaden
Intestinale Pseudoobstruktion (eine seltene, aber schwere Störung der Beweglichkeit des Darms)
Besonderheiten des Kurzdarmsyndrom bei einem Morbus Crohn
speziell für Patienten mit einem Morbus crohn ergeben sich folgende Aspekte:
die am häufigsten beim Morbus crohn durchgeführte Operation, die Ileozökalresektion, führt in der Regel nicht zu einem Kurzdarmsyndrom, denn die Resorption der Makronährstoffe und die Resorption von Wasser und Elektrolyten ist meist nicht wesentlich verändert. Trotzdem kann es zu einem Vitamin B12-Mangel, zu einem durch Gallensäureübertritt in den Dickdarm verursachten Durchfall (chologene Diarrhoe) oder zu Fettstühlen, die durch Gallensäurenverlust verursacht werden (Gallensäureverlustsyndrom) kommen.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass bei einer Restdünndarmlänge von mehr als 200 cm kein Kurzdarmsyndrom auftritt. Beim Morbus crohn ist der verbliebene Dünndarm aber häufig nicht gesund, so dass es trotzdem zu einem Kurzdarmsyndrom kommen kann.
Patienten mit einem Morbus crohn sind häufig am Bauch operiert, wodurch prinzipiell das Risiko von Verwachsungen besteht, die zu weiteren Operationen zwingen können, die letztlich zu einem Kurzdarmsyndrom führen.
Bei Patienten mit einem Morbus Crohn muss bei einer Darmresektion relativ häufig ein künstlicher Darmausgang (stoma) angelegt werden. Infolge der Stoma-Anlage stehen die weiter unten gelegenen Darmabschnitte nicht mehr für die Resorption von Nährstoffen zur Verfügung. Aus dieser Situation kann ein Kurzdarmsyndrom entstehen, das durch eine Stoma-Rückverlagerung und die Wiederherstellung der Darmkontinuität möglicherweise rückgängig gemacht werden kann.
Therapie
Die Therapie des Kurzdarmsyndroms hängt vom Zeitverlauf seit der Darmoperation und von der Schwere der Störung ab.
Nach Resektion größerer Darmanteile kommt es in der Regel zu vermehrtem Durchfall und die Darmpassage ist beschleunigt. Ursächlich hierfür sind die verminderte Resorptionsfläche und die veränderte Resorptionsfunktion (beides infolge des verlorenen Darms) sowie die verminderte Zeit für die Resorption. die Resorptionsfläche kann sich in gewissen Grenzen durch ein Wachstum der Schleimhaut verbessern und die Resorptionsfunktion kann sich je nach operiertem Darmabschnitt (s.o.) ebenfalls anpassen.
Außerdem kommt es in den ersten Monaten nach einer solchen Operation zu einer reaktiv vermehrten Magensäureproduktion, die ebenfalls resorbiert werden muss. diese Veränderungen werden als Adaptation bezeichnet und können bis zu einem Jahr andauern. Dabei ist die gestörte Resorption von Wasser und Elektrolyten häufig der wichtigste Faktor, denn diese Störungen werden nur kurz vom Patienten toleriert, es droht sonst eine Austrocknung (Exsikkose). Wichtig ist, dass ein Angebot von Nährstoffen durch natürliche Nahrungsaufnahme, also Nahrung im Darm, die Adaptation des Darms fördert.
Wichtige Behandlungsprinzipien sind daher:
die Passage verlangsamen mit Medikamenten wie Loperamid (Imodium® und viele andere Handelsnamen) bzw. Tinctura opii.
viele kleine Mahlzeiten.
eine Ballaststoffarme Diät (denn Ballaststoffe binden Wasser und beschleunigen die Passage, außerdem ist eine solche Diät besser resorbierbar).
Essen und Trinken zeitlich voneinander trennen, um die Belastung des Darms mit Flüssigkeit zu verteilen.
Blockade der Magensäure mit Medikamenten wie Omeprazol, Pantoprazol oder Lansoprazol (diverse Handelsnamen).
Reduktion des Fettanteils in der Nahrung, falls noch Dickdarm vorhanden ist, denn nicht resorbierte Fette können im Dickdarm Durchfall auslösen (Steatorrhoe).
Gezielter Ausgleich bestehender oder drohender Mangelzustände an Mineralien (v.a. Magnesium, Kalium und Calcium), Spurenelemente (v.a. Zink) und Vitamine (v.a. Vitamin B12,Vitamin D).
Trinkzusatznahrung und spezielle Flüssigkeitsgaben (Isostar™, Gatorade™, Elotrans™ und zahlreiche andere).
Die Störung der Darmfunktion ist unmittelbar nach einer Operation und in den daran anschließenden Wochen natürlich am stärksten. in dieser Übergangsphase kann auch bei Patienten, die mittelfristig kein typisches Kurzdarmsyndrom entwickeln, eine übergangsweise (passagere) künstliche intravenöse Flüssigkeitszufuhr bzw. künstliche intravenöse Ernährung notwendig sein. Hierfür stehen diverse Infusionslösungen (nur Flüssigkeit, Flüssigkeit und Ernährung, Vitamine, Spurenelemente) zur Verfügung. Je nach erwarteter Dauer der künstlichen Ernährung und abhängig von den notwendigen Infusionslösungen kann eine Venenkanüle, ein zentraler Venenkatheter oder ein operativ angelegter Venenzugang (so genannter Port) als intravenöser Zugang verwendet werden. Wird eine solche intravenöse Ernährung Zuhause durchgeführt, müssen meist alle Bestandteile in einer Infusionsflasche bzw. einem Infusionsbeutel gemischt werden. Wegen der spezifischen Verluste im Rahmen des Durchfalls beim Kurzdarmsyndrom müssen solche Ernährungslösungen oft für den einzelnen Patienten individuell zusammengestellt werden (so genanntes „compounding“).
Parenterale (intravenöse) Ernährung
Bei einigen wenigen Patienten ist der verbliebene Restdarm so kurz oder so schwer in seiner Funktion eingeschränkt, dass eine künstliche Ernährung in der dargestellten Weise nicht nur passager sondern dauerhaft notwendig ist. In dieser Situation ist es besonders wichtig, die Ernährung optimal einzustellen, um ein zu viel oder zu wenig an einzelnen Komponenten (Kohlenhydrate, Fette, Aminosäuren usw.) zu vermeiden.
Komplikationen
eine künstliche Ernährung birgt auch Risiken in sich:
Der venöse Zugang kann sich infizieren, dann droht eine Blutvergiftung. Abhängig vom auslösenden Keim, kann eine medikamentöse Therapie mit Antibiotika versucht werden oder der Zugang muss entfernt werden.
Das Blutgefäß, in dem der venöse Zugang liegt kann sich durch eine Thrombose verschließen, dann wird dieses Gefäß für die Anlage eines neuen Zugangs meist unbrauchbar. Die künstliche Ernährung kann zu veränderten Leberwerten bis hin zu schweren Leberschäden führen.
Die genannten Komplikationen lassen sich meist kurz bis mittelfristig beherrschen, können aber bei Fortbestehen oder häufiger Wiederkehr zu einem nicht mehr beherrschbaren Problem werden. Dann kann eine Dünndarm- oder kombinierte Leber- und Dünndarmtransplantation einen Ausweg darstellen.
Organisation und Koordination
An der Versorgung von einem Patienten mit einem schweren Kurzdarmsyndrom sind verschiedene Personen und Institutionen beteiligt: Angehörige, Hausarzt, Pflegedienst, Krankenhaus, Apotheke, Versicherung usw. Regelmäßige Kontrollen und eine Anpassung der Therapie sind oft notwendig und die entsprechenden Informationen müssen zwischen den Beteiligten ausgetauscht, abgestimmt und aktualisiert werden. In der Praxis hat sich das als ein wesentliches Problem herausgestellt. Eine Koordinationsstelle, bei der alle Informationen zusammenlaufen, die bei dringlichen Fragen bzw. Notfällen immer telefonisch zu erreichen ist und die den Patienten in seinen Belangen unterstützt, hat sich in diesem Zusammenhang als außerordentlich hilfreich erwiesen.
Die Rostocker Kurzdarm-Ambulanz
in Rostock haben wir seit dem 01.04.2013 eine spezielle Ambulanz für Patienten mit einem Kurzdarmsyndrom eingerichtet. Hier werden sowohl Patienten betreut, die eine spezielle Diät brauchen, als auch Patienten, die auf eine vorübergehende oder auch langfristige bzw. dauerhafte intravenöse Ernährung angewiesen sind. Die oben dargestellte Koordination wird für einen Großteil dieser Patienten von Frau Klitzing-Wiest, Leiterin der Koordinationsstelle Kurzdarmsydrom, übernommen. Bei ambulant nicht lösbaren Problemen besteht die Möglichkeit zur dringlichen stationären Aufnahme. In enger Zusammenarbeit mit den Chirurgen werden z.B. Fragen einer Rückverlagerung eines Stomas oder Port-/ Hickman-Katheter – Probleme geklärt.
Über den Autor: Prof. Dr. med. Georg Lamprecht
Professor Dr. Lamprecht studierte von 1986 bis 1991 Humanmedizinen der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität München, wo er 1992 über Ionentransportmechanismen am Magen promovierte. Von 1991 bis 1995 arbeitete er an der II. Medizinischen Klinik der TU München bei Prof. Classen. 1995 wechselte er an die Medizinische Klinik Abt. I nach Tübingen. Es folgte ein Postdoc-Aufenthalt an der Johns-Hopkins-School of Medicine in Baltimore bei Prof. Donowitz von 1996 bis 1998. Hieraus entstand die Arbeitsgruppe gastrointestinaler Ionentransport. Im Jahr 2006 habilitierte sich Prof. Lamprecht mit dem Thema „Funktionelle und biochemische Charakterisierung des intestinalen Anionenaustauschers DRA (down regulated in adenoma)“. Seit 2001 war Prof. Dr. med. Lamprecht Oberarzt und seit 2004 Leitender Oberarzt der Abteilung.
Seit 2006 leitete Prof. Dr. med. Lamprecht die Spezialambulanz für Kurzdarmsyndrom, Darmversagen und Darmtransplantation und seit 2010 die Spezialambulanz für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Seit 2012 ist Prof. Dr. med. Lamprecht ärztlicher Direktor der Abteilung für Gastroenterologie des Zentrums für Innere Medizin, Klinik II am Universitätsklinikum Rostock.
Forschungsschwerpunkte
Regulation der elektroneutralen NaCl-Resorption im Darm mit Schwerpunkt auf dem Anionenaustauscher DRA (SLC26A3) und dessen Interaktion mit den PDZ-Adapterproteinen der NHERF-Familie
Pathophysiologie und Risikofaktoren beim Kurzdarmsyndrom
Transportfunktion des transplantierten Darms
Klinische Schwerpunkte
Kurzdarmsyndrom und parenteraler Ernährung
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Funktionelle Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes (z.B. Achalasie
erschienen in „DCCV-Journal Der Bauchredner“ 01/09
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